Susi Menzel

Die Mindener Buttjersprache



     Susi Menzel

Startseite

Geschichten

Online-Lesungen Meine Bücher Über mich Kontakt / Datenschutzerklärung

Eine Weihnachtsgeschichte in Mindener Buttjersprache
Gelesen von Manni Schmidt

Und Maria knospelte ihr ersten kutschabo ...
(Und Maria gebar ihren ersten Sohn ...)



Manfred Schmidt, ein Mindener Urgestein und langjähriger Sänger der legendären Mindener Rockband "The Blackbirds" liest die Geschichte vor.
Sie wurde vor über 20 Jahren von Friedrich Wilhelm Rook bei den Recherchen zur Dokumentation der Mindener Buttjersprache an den in Minden geborenen Sprachwissenschaftler und Autor des Buches über die Mindener Buttjersprache, Klaus Siewert, zur Herausgabe weitergegeben. Er gab uns die Genehmigung, sie hier auf YouTube zu veröffentlichen.
Die Mindener Buttjersprache gehört zu den sogenannten Rotwelsch-Dialekten des Deutschen, die soeben im Wörterbuch deutscher Geheimsprachen (2023) für alle Zeiten dokumentiert worden sind.
Getoppt - und damit auch für viele Mindener unverständlich, wird die Buttjersprache noch von der Bi-Sprache.
Wenn die Buttjersprache z usammen mit der Bi-Sprache gesprochen wird, dann ist das für viele tobiffte (toll), aber für Nicht- Geheimsprachler ein absolut unzugängliches Kauderwelsch :-)))

Viel Spaß beim Anhören der Geschichte und bei Mannis Erzählung über die Buttjersprache, für die er auch die Übersetzung vorliest.


Wer sich für die Mindener Buttjersprache interessiert: Klaus Siewert hat das Buch "Deutsch - Buttjersprache" herausgebracht. Es kann über jede Buchhandlung bestellt werden.

Außerdem hat er ein Standardwerk über die deutschen Geheimsprachen veröffentlicht. Es heißt: "Wörterbuch deutscher Geheimsprachen - Rotwelschdialekte" Auch das ist über den Buchhandel zu bestellen.

Manni Schmidt und Susi Menzel, Minden, Buttjersprachenbücher


Auf dem Foto sind Manni Schmidt und ich mit Büchern über die Buttjersprache. Das rote Buch ist die alte Version aus Marowskys Buchhandlung, das es leider nicht mehr gibt. Das blaue Buch ist das Wörterbuch von Klaus Siewert mit herrlichen Zeichnungen und vielen Sätzen und Redewendungen.


Die Mindener Buttjersprache wird in Minden heute nicht mehr so oft gesprochen wie früher. Aber es gibt sie noch. Und ich, Susi Menzel, erinnere mich gerne an die gute, alte Zeit, in der diese besondere Sprache noch im normalen Sprachgebrauch zu finden war. Dass sie eine anerkannte Geheimsprache ist, wusste ich damals nicht. Aber das ist doch toll - oder tobifte oder eben erwähneswert und erhaltenswert. Darum teile ich meine Erinnerungen an diese Sprache mit euch. Und erzähle auch, wie wir zu dem Video mit der Weihnachtsgeschichte auf buttjerisch gekommen sind.

Meine Erinnerungen aus den 1970/80er Jahren.

Was wäre ein Mindener ohne sein „toff“ oder sogar „tobiffte“ und wie sollte er von A nach B kommen, wenn er nicht dorthin pesen würde, um sein Lobi auszugeben. Manchmal kehrt auch er in Kaschemmen (Gaststätten) ein und pient sich ordentlich einen. Dabei verplempert so ein Latscho (Sinti / Roma) natürlich auch mal etwas. Das muss er dann auch noch beschucken (bezahlen). Wenn derjenige dann keine Asche dabei hat, muss er vielleicht sogar katrente gehen(flüchten), wenn er nicht im Bau landen will. Danach wird er sich erst recht einen püttchern oder sich auch richtig einen verkasematuckeln (betrinken) und dabei olle Schoten (alte Geschichten) erzählen.

Worte wie achielen (essen), Knifte (Butterbrot) essen, jabbeln (erzählen), Heiermann (5 Mark Stück – das dürfte heute wohl eher ein 2 Euro Stück oder ein 5 Euro Schein sein) und Döllmer (freundlich für Blödmann) sind auch heute in meinem allgemeinen Sprachgebrauch noch manches Mal enthalten.
Auch Ische wird manchmal etwas abwertend benutzt, obwohl das Wort eigentlich nur ganz wertfrei Mädchen heißt. Den Heiopei benutzt man vielleicht auch mal, wenn man jemanden abwertend, aber auch augenzwinkernd beschimpft und dabei sagt: Du machst mich ganz dindeloo (verrückt).
Richtig gesprochen habe ich selber die Buttjersprache nicht. Verstanden habe ich einiges, manchmal mehr als mir und denjenigen, die über mich in meinem Beisein herzogen, lieb war. Seinerzeit habe ich in einer Kneipe gearbeitet, um mein Studium mitzufinanzieren.
Das „Canape“ war mit Abstand die eigenwilligste Kneipe, die ich je kennengelernt habe. Sie gehörte einem Polizisten. Vormittags war sie proppevoll mit Schülern. In der Nähe gab es einige Gymnasien und eine Realschule. In den Pausen, Freistunden oder nach der Schule kamen sie dorthin, um sich zu profilieren oder eben einfach abzuhängen. In den Gymnasien wurde Wert auf Hochdeutsch gelegt, weshalb man dort selten die Buttjersprache wahrnahm. Da schämte man sich eher, wenn man aus der Buttjergegend kam.
Aber auch wenn man vom platten Land aus einem der Dörfer, eben vom Dörpe, kam, wo zu meiner Zeit tatsächlich noch auf Plattdeutsch in einer Einklassenschule unterrichtet wurde. Die Schüler aus den Gegenden mussten als erste Fremdsprache tatsächlich das Hochdeutsch erlernen.
In den Mindenern Grund- und Hauptschulen in der Innenstadt wurden die Lehrer sicherlich auch des öfteren mit dem Buttjersprache konfrontiert, denn viele der Eltern sprachen es zuhause. So mussten auch die Schüler zuerst hochdeutsch lernen.

Abends hingegen kam in die Kneipe „Canape“ Mindens Hautvollée. Alles, was Schickimicki mäßig etwas auf sich hielt, war dort vertreten. Viele der bekanntesten Mindener waren tatsächlich Buttjer. Sie waren im Weingarten in der Oberstadt oder der Fischerstadt unten an der Schlagde geboren. Die wenigsten konnten lange zur Schule gehen und so hatten sie durch frühe Arbeit auch früher eigenes Geld zur Verfügung. Schicke Autos, tolle Kleidung, gestylt, wie es halt damals üblich war: Die Männer Vokuhila (vorne kurz, hinten lang), oft mit Schnäuzer und manchmal noch Koteletten. Die Frauen mit hochtoupierten Haaren oder Minipli für den Afrolook. Natürlich mit Plateauschuhen, so hoch es nur ging. Oder Cowboystiefeln, Marlenehosen, oder Hosen mit extrem weitem Schlag. Es gab auch Cordhosen mit langen Strickjacken. Die waren jedoch im Canape selten zu finden. Sie waren als Ökos verschrien. In vielen Buttjersprachen Kommentaren war es deutlich zu vernehmen, was man von „solchen“ hielt.
Engländer, die damals mit sieben Armeen als Besatzungsmacht in Minden vertreten waren, wurde zumeist mit einem „Out of Bounds“ Schild von einem Besuch in den Mindener Kneipen abgehalten. Sie hatten ihre eigenen Vergnügungsstätten, in die die Deutschen nicht hinein durften. Selbstverständlich wurde es von beiden Seiten immer wieder versucht, was oftmals zum Einsatz der Military Police führte. Die deutsche Polizei musste die einschalten, sobald ein Engländer in einen Streit oder eine Schlägerei verwickelt war.

Das wurde selbstverständlich auch oftmals in unflätigen Buttjersprachen Ausdrücken kommentiert. Die verstanden die Engländer nämlich nicht. Da man aber damit sicher gehen wollte, wurde in solchen Fällen die Bi-Sprache bemüht. Das einfachste Beispiel ist „toff“. Das heißt toll und wurde vergeheimsprachlicht und zu „tobiffte“ gemacht. Selbst die normalsprachigen Mindener konnten dann nichts mehr verstehen. Es wird hinter den Vokalen ein „bi“ angehängt. Knifte wird zu Knibifte. Das kann man ja noch erraten. Aber bei jabbeln, das zu jabibbebiln wird, versteht man es als nicht Buttjer- und Bisprachler nicht mehr.
Dass die Buttjersprache eine Geheimsprache ist und zu den rotwelschen Sprachen gehört, war mir wenigstens damals nicht so bewusst. „Rot“ ist der Begriff für fahrendes Volk. Und so ist es nicht verwunderlich , dass bei uns in Minden auch die Zigeuner diese Sprache beherrschten, wenn auch gepaart mit ihren eigenen Worten aus ihrer eigenen Sprache.
Ja, der Aufschrei ist groß, Zigeuner sagt man heute nicht mehr. Auf der Internetseite des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma (www.zentralrat.sintiundroma.de) werden die Begrifflichkeiten erklärt. Also sagt man heute Roma (Rom heißt Mensch in der Romasprache) oder eben ‚Sinti und Roma‘.

So weit ich mich erinnere, gab es bei uns in Minden hauptsächlich Sinti. In meinem Dunstkreis von Schülern und Erwachsenen war Sinti eher ein abwertender Begriff als das Wort Zigeuner. Zigeuner beinhaltete diese leicht romantisch verklärte Sichtweise auf das Leben des fahrenden Volkes, jedenfalls erschien es mir immer so. Obwohl die Marschalls, Winters, Theiss und andere bekannte Sinti Familien in Minden schon lange sesshaft waren, haftete ihnen das Stigma der fahrenden Völker an.
Die Mahnungen oder gar Verbote, sich mit Sintis einzulassen, waren vielleicht gerade der Grund, sich gegen die Erwachsenen aufzulehnen. Das wiederum verband die Sintis mit den Rockern oder den Engländern. Alles Verbotene war für Jugendlicher in der Pubertät eben besonders interessant und für uns so behütete Mädchen sowieso.
Die Vorurteile gab es übrigens nicht nur von deutscher Seite. Auch die Familien der Sintis waren nicht sehr angetan davon, wenn sich ein Junge oder Mädchen zu jemandem hingezogen fühlte, der oder die nicht aus einer Sintifamilie stammte. Hin und wieder hörten wir hinter vorgehaltener Hand, dass diese Fremdgänger vom Clan-Oberhaupt mal „ordentlich zur Brust“ genommen worden waren. Das führte dazu, dass, selbst wenn man sich kannte, man sich nicht unbedingt grüßte, wenn man aufeinandertraf. Einigen nickten wir zumindest unauffällig zu, weil wir uns manches Mal gegenseitig aus der Patsche geholfen hatten, wenn zum Beispiel das Auto mal wieder gestreikt hatte.
Auch die Sinti Jugendlichen bekamen erst später ihre „richtigen“ Autos, wenn sie selber eigenes Geld verdienten.

Übrigens durften die Sintis, genau wie die Engländer, nur in wenige Lokalitäten. Auch die Italiener waren zu der Zeit verpönt. Sie waren fast so selbstbewusst wie die Sintis, aber noch frecher. Gegen die schlossen sich sogar schon mal feindliche Gruppierungen zusammen. Erst viel später waren die Italiener integriert, obwohl auch sie immer noch an ihrer Sprache festhalten. Zu der Zeit kamen auch viele Vietnamesen mit der Cap Anamur nach Minden. Die Gruppen waren jedoch recht unauffällig. Ich persönlich hatte zu niemanden Kontakt.
Da die unterschiedlichen Mindener Gruppen immer wieder mal aufeinandergetroffen waren, tauchten auch viele Ausdrücke der jeweiligen Sprachen in der Buttjersprache auf. Es wurde beidseitig adaptiert. Und dennoch blieb es eine Sprache für wenige. Doch hauptsächlich kommt die Buttjersprache vom fahrenden Volk, also auch von den Sintis, und wird teilweise vom Jiddischen oder aus den Ruhrpott-Ausdrücken hergeleitet: Malochen (arbeiten), teilhacken (abhauen), Schmeese (Anzug).

Übrigens war es nicht immer ein Vorteil, wenn man die Buttjersprache verstand und dazu noch die Bi-Sprache beherrschte. Vor allem nicht, wenn man nicht aus dem direkten Umkreis dieser Familien kam. Denn dann konnten die Kings des Viertels in der oberen Altstadt sich nicht so ohne weiteres untereinander absprechen, wie man mit dem- oder derjenigen verfahren sollte. Und so waren die Vorurteile anderen gegenüber auch dort ein fester Bestandteil des Lebens in Minden.
Trotzdem verstanden wir vom Canape natürlich mehr von der Buttjersprache als manch anderer, weil wir oft damit konfrontiert waren. Aber wir taten meistens so, als verstünden wir nur „Bahnhof“.

Heute im gesetzten Alter reden wir auf Feiern manchmal darüber. So auch mit Nachbarn Manfred Schmidt, der die Buttjersprache gut verstehen kann und diese sogar manchmal bei den Auftritten mit der legendären Mindener Rockband „The Blackbirds“,deren Sänger er über viele Jahrzehnte war, benutzt hat. Auch die Weihnachtsgeschichte, die hier auf dieser Internetseite zu hören ist und von ihm eingesprochen wurde, wurde manchmal im Dezember oder sogar auf einem Heiligabend-Gig vorgetragen – offenbar sehr zur Freude der Mindener Besucher, die den Beitrag ebenso frenetisch bejubelten wie Rocksongs, für die die Band so bekannt war.
Als Manfred mir das erzählte, wollte ich das unbedingt auf Video aufnehmen und für die Nachwelt auf YouTube erhalten. Man sagt ja, das Internet vergisst nie. Manfred ist ja Profi Performer und so dauerte es nur wenige Takes, bis es eingesprochen war. (Im Gegensatz zu der Deko, für die ich einige Tage gebraucht hatte, bis ich das Wohnzimmer umgebaut hatte und bereits im August die Weihnachtssachen vom Dachboden holte. Allerdings waren gerade in der Woche tatsächlich die ersten Dominosteine und gefüllte Lebkuchenherzen im Geschäft angekommen, was das Weihnachtsgefühl auch bei 30 Grad im Schatten erzeugte).

Die Weihnachtsgeschichte auf Buttjersprache stand im Jahr 2001 in der Lokalzeitung Mindener Tageblatt. Sie wurde vor über 20 Jahren von Friedrich Wilhelm Rook bei den Recherchen zur Dokumentation der Mindener Buttjersprache an den in Minden geborenen Sprachwissenschaftler und Autor des Buches über die Mindener Buttjersprache, Klaus Siewert, zur Herausgabe weitergegeben. Er gab uns die Genehmigung, sie auf YouTube zu veröffentlichen. Die Mindener Buttjersprache gehört zu den sogenannten Rotwelsch-Dialekten des Deutschen, die im Wörterbuch deutscher Geheimsprachen (2023) für alle Zeiten dokumentiert worden sind.

Der Professor für Sprachwissenschaften Klaus Siewert hat auch das Wörterbuch Deutsch – Buttjersprache veröffentlich.

Übrigens wird die Buttjersprache noch von der Bi-Sprache getoppt - und damit ist auch für viele Mindener Buttjer unverständlich. Wenn die Buttjersprache zusammen mit der Bi-Sprache gesprochen wird, dann ist das für viele tobiffte (toll), aber für Nicht- Geheimsprachler ein absolut unzugängliches Kauderwelsch :-))).

Der „Geheimsprachen-Prof“ ist in Lerbeck geboren und aufgewachsen. Das ist zwar auf der „falschen“ Seite von Minden, nämlich rechts der Weser, die die Mindener Bevölkerung auf natürliche Weise trennt, aber auch dort kennt man natürlich die Buttjersprache.

Klaus Siewert erteilte uns die Genehmigung, die von ihm notierte Buttjersprachen Version der Weihnachtsgeschichte im Internet und auf YouTube zu veröffentlichen.

Tobifte Prof und Danke!

Eure Susi Menzel
Minden- Meißen, den 25.09.2023



Besuchen Sie mich auch auf meinen Social Media Kanälen:

>>> Sie finden mich auch auf meiner Künstlerseite auf FACEBOOK >>>

>>> Sie finden mich auch auf Facebook auf meiner Seite: Wunder im Naturgarten >>>

>>> Sie finden mich auch auf meinem YouTube Kanal "Das Leben am Vogelfutterhaus" >>>

>>> Sie finden mich auch auf meinem YouTube Kanal "Susi Menzel >>>

 Email: info@smenzel.de

Haftungsausschluss    Impressum    Datenschutzerklärung